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09.02.2012„Handballvereine müssen die Tradition bewahren und Ideen weiterentwickeln“
WZ-Interview mit Griedels Teammanager Jürgen Weiß – TSV Griedel setzt auf breitgefächertes Angebot im Jugendbereich
Es ist an der Zeit eine Diskussion zu führen, die längst überfällig ist. Die Jugendarbeit im deutschen Handball und die damit verbundenen Probleme stellen gegenwärtig nicht nur die großen Klubs und nicht zuletzt die Nationalmannschaft vor große Herausforderungen. Nach dem Presseartikel: „Zeit des Kirchtumsdenkens ist im Jugendhandball vorbei“ in der WZ vom 25.01.2012, spricht der Teammanager des TSV Griedel, Jürgen Weiß, im WZ-Interview über seine Vorstellungen von guter Jugendarbeit. Jürgen Weiß fungierte über 15 Jahre als Jugendleiter und Jugendtrainer beim TSV Griedel und hat es gemeinsam mit seinen Mitstreitern geschafft, nach vielen Jahren der Aufbauarbeit, junge Talente in die erste Männermannschaft zu integrieren.
Herr Weiß, viele Vereine beklagen in der heutigen Zeit den Rückgang von jungen und talentierten Handballern aus der eigenen Jugend. Der TSV Griedel konnte zuletzt viele Talente in die erste Mannschaft einbauen. Trotzen sie dem Trend oder machen die anderen einfach etwas falsch? Â
„Klagen bringt nichts! Die handelnden Personen in den Vereinen müssen engagiert daran arbeiten, dass es wieder eine positive Entwicklung gibt. Ich kann nur über uns sprechen und wir versuchen uns weiterzuentwickeln. Wir haben vor 20 Jahren anfangen dem TSV Griedel ein Konzept zu geben und haben uns daran orientiert und versuchen auch heute noch den Leitfaden beizubehalten und umzusetzen. Es ist wichtig Konzeptionen zu entwickeln, langfristig zu denken und zu planen. Das ist ein Punkt, der nicht nur im Sport, sondern auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen vernachlässigt wird.“ Â
Konzeptionen können unterschiedlich geartet sein. Eigentlich hat jeder Klub eine bestimmte Philosophie. Wie haben Sie das in Griedel gehandhabt? Â
„Vor 20 Jahren spielten lediglich zwei Jugendmannschaften und die Minis im TSV. Jetzt verfügen wir über viele junge Spielerinnen und Spieler. Dafür waren viele Jahre intensiver Jugendarbeit nötig. Es war ein langer und beharrlicher Weg bis hier hin.“ Â
 Zwischenzeitlich gab es auch kritische Stimmen, denn der TSV lotste auch Spieler nach Griedel mit finanziellen Aufwendungen…
„Wenn man Spieler aus Frankfurt oder Petterweil holt, kann man nicht davon ausgehen, dass es nichts kostet. Um ein Niveau zu halten, mussten wir diesen Weg gehen. Daran ist nichts verwerfliches, denn es waren über einen langen Zeitraum keine Jugendspieler vorhanden. Es war ein Teil des Konzeptes eine solche Überbrückungsphase einzubauen.“
Wie arbeiten Sie heute im Jugendbereich?
„Unsere Jugendarbeit besteht aus verschiedenen Säulen: Konzeption des Vereins, Freizeitaktivitäten, Zusammenarbeit zwischen Schule und Verein, Pressearbeit und natürlich Sponsoring. Wichtig finde ich, dass wir für die 5-12-jährigen Kinder das Motto „Spielerlebnis geht vor Spielereignis“ gestellt haben. 1996 haben wir neben den Minis die Kängurus geführt. Dort haben viele Spieler unserer jetzigen ersten Mannschaft angefangen. Das Konzept in diesem Bereich ist pädagogisch orientiert und legt besonders viel Wert auf Bewegungsschulung. Individuelle Betreuung, Persönlichkeit und sportliche Fähigkeiten entwickeln und fördern, den Leistungsaufbau langfristig und entwicklungsorientiert anlegen – darum geht es! Trainerfortbildungen und Jugendcamps sind natürlich auch wichtig.“ Â
Inwiefern sind Kooperationen mit Schule – gerade vor dem Hintergrund der Ganztagsschulen heutzutage – wichtig und zielführend? Â
„Seit 1997 haben wir unsere Zusammenarbeit mit der Stadtschule Butzbach bis heute kontinuierlich weiterentwickelt. Auch an der Gabriel-Biel-Schule und der Schrenzerschule waren wir mit Sport AG`s aktiv. Neben Grundschulspielfesten ist der TSV Griedel auch immer wieder bei Veranstaltungen der Stadt Butzbach aktiv, um für den Handballsport zu werben. Artan Nuradini dient als bestes Beispiel. Er ist über eine Sport AG zu uns gekommen. Das zeigt, dass es sehr sinnvoll ist, wenn Handballvereine in der Schule tätig sind. Wir müssen unsere Sportart an den Schulen präsentieren und gegebenenfalls Handbälle zur Verfügung stellen, damit im Sportunterricht der Schulen überhaupt Handball gespielt werden kann.”Â
Das kostet aber sicher eine Stange Geld…Â Â
„Aus diesem Grund haben wir das Sponsoring des Vereins den heutigen Erfordernissen durch Weiterbildung angepasst. Seit 1997 besteht FUN FOR YOUNGSTERS e.V. – ein Förderverein für die Kinder und Jugendlichen des TSV Griedel, der sich unter anderem darum bemüht Praktikums- und Ausbildungsplätze für die Jugendlichen im Verein zur Verfügung zu stellen. Vor zehn Jahren haben wir zudem den Business Club, in dem die Sponsoren organisiert sind, gegründet und 2004 den Handballförderverein des TSV Griedel e.V. ins Leben gerufen.“ Â
Welche Unterschiede gibt es in der Jugendarbeit heute gegenüber der Vergangenheit und sind die jungen Spieler von heute nicht mehr so handballbegeistert?
„Das Hauptproblem ist, dass die Jugendarbeit nicht an die Lebensverhältnisse und die Bedürfnisse der Jugendlichen und Kinder von heute angepasst sind. Die letzten zehn Jahre in Griedel haben gezeigt, dass es immer noch möglich ist, Jugendliche zum Handball zu begeistern. Der Zeitaufwand für die komplexe Jugendarbeit von heute ist natürlich größer wie in der Vergangenheit. Handballvereine müssen ihre Tradition bewahren und immer neue Ideen weiterentwickeln. Ein Problem ist sicher, dass neue Ideen im Handball nicht oder viel zu langsam bei den Verbänden, Bezirken und Vereinen umgesetzt werden. An der Umsetzung der DHB-Vorgaben mangelt es auf allen Ebenen.“ Â
Ist es Ihrer Meinung nach zielführend, dass viele Vereine im Jugendbereich Spielgemeinschaften gründen, um überhaupt wettbewerbsfähig zu sein? Oder ist es der Anfang vom Ende? Â
“Der Bundesligatrainer Dirk Leun hat schon von Jahren die Spielgemeinschaften als die “Totengräber des Handballs” bezeichnet. Denn eine solche SG ist nur eine kurzfristige Lösung, da an den eigentlichen Ursachen nicht gearbeitet wird und nach ein paar Jahren ein neuer Partner nötig wird, um eine Mannschaft zu bilden. Unter dem Strich gibt es dann weniger Handballvereine, was zur Folge hat, dass weniger Jugendliche und Kinder den Weg zum Handballsport finden. Im letzten September haben wir in einer Altersklasse, in der nur sieben Spieler zur Verfügung standen, eine Spielgemeinschaft mit Oppershofen gebildet. Das darf nur die Ausnahme sein. Das Miteinander von Vereinen bei Themen wie Jugendcamps, Trainerfortbildungen, Freizeiten und Jugendbegegnungen wäre sehr sinnvoll. Wir alle sind für die Zukunft unserer Sportart verantwortlich – über die Vereinsinteressen hinaus.”Â
Welche Lösungsansätze für die Jugendarbeit im deutschen Handball sehen Sie?Â
Nach meiner Meinung nach ist das Ausbildungssystem in Deutschland auf allen Ebenen nicht langfristig und zielführend angelegt. Wir müssten endlich einmal ins Ausland schauen, was andere Länder in den letzten Jahren in der Ausbildung von Kinder- und Jugendlichen besser gemacht haben. Länder wie Island (300.000 Einwohner), Kroatien (4.500.000) und Dänemark (5.500.000) verfügen über deutlich weniger Einwohner, wie Deutschland (80.000.000), haben aber eine sehr gute Talentsichtung und was noch wichtiger ist, sie bilden ihre Talente besser aus. Das ist nach meiner Meinung der entscheidende Grund, dass viele ausländische Spieler bei deutschen Spitzenvereinen spielen, weil die Ausbildung in anderen Ländern sehr qualifiziert ist und die Spieler dadurch besser vorbereitet sind, um den Übergang aus der Jugend zu den Aktiven zu meistern. Ähnlich wie beim Fußball, der vor über 10 Jahren seine Jugendarbeit, wegen Misserfolgen, auf den Prüfstand gestellt hat und heute auf viele gutausgebildete Spieler zurückgreifen kann, muss im Handball, auch auf unserer Ebene, endlich ein Umdenken stattfinden und Konsequenzen gezogen werden. Die Profivereine müssen, wie im Fußball, einen, nicht unerheblichen Prozentsatz ihres Etats für die sportliche und charakterliche Ausbildung (Internate) der Jugendspieler zur Verfügung stellen.